„Tretet, ihr faulen Hündinnen!“, schrie Energie-Drillinstructorin Azra.
Heute musste sie kein Binnen-I verwenden, weil nur Frauen in ihrer Gruppe waren. Aber sie war grundsätzlich keine diskriminierende Person, sie verachtete einfach alle Menschen gleichermaßen. Wenn sie etwas im Leben mochte, dann war das ihre Arbeit in der Glücksmomente-Pensionistenfabrik. Geregelte Arbeitszeiten, klare Hierarchien, altes, schwaches, aber resigniertes Arbeitspersonal.
Da war nur dieser lästige, nagende Gedanken, dass sie auch irgendwann einmal alt werden würde und vielleicht in so einer Fabrik landen könnte. Aber dieser Gedanke kam durch die täglich verordnete Schwuppsweg-Verdrängungspille selten in die Nähe ihrer Bewusstseinsoberfläche.
Azras Retina-Display blinkte rot auf.
„Hilde, wie oft soll ich es noch sagen. Mindestens 50 Umdrehungen! Noch einmal und der Nachtisch ist für eine Woche gestrichen!“, schrie sie in den Raum hinein.
Sie schrie nicht aus Prinzip, sondern weil sie den Lärm der lästigen Pfeif, Quietsch und Röchelgeräusche der COPD-Omas übertönen musste.
Und bei der einen oder anderen Sozial-Oma quietschten auch die Billig-Gelenke.
Da gab es zum Glück nur zwei in ihrer Gruppe, die anderen hatte sie erfolgreich an andere Gruppen loswerden können. Nach so einem Tag in der Pensionistenfabrik klingelten ihr zu Hause noch stundenlang die Ohren, aber die Firmenleitung hatte Gehörschutz abgelehnt. Ein Sachverständiger hätte festgestellt, dass die durchschnittliche Belastung 89,9432 Dezibel beträgt und deswegen kein Gehörschutz gesetzlich vorgeschrieben ist.
89 Dezibel am Arsch, dieser Sachverständige war natürlich geschmiert worden, aber Azra hatte schon die eine oder andere Idee dieses Problem zu lösen.
Schon wieder blinkte es in ihrem Display.
„Branka, erste Verwarnung!“, schrie sie.
Sie durfte die durchschnittliche Energieleistung nicht aus den Augen lassen. 36 kW pro Stunde wurden von der Betriebsleitung gefordert und gestern war ihr bester Mann mit gerade mal 103 Jahren einfach so weggestorben. Pudding gelöffelt und dann den Löffel abgegeben, so eine Frechheit.
Das Pensionisten-Arbeitsprogramm wurde laufend weiterentwickelt, die Anfänge waren heute aber kaum mehr zu erkennen. Eigentlich geplant als Mobilisierungsunterstützung für Senioren, kam ein findiger Vorstand eines staatlichen Pensionistenheims auf die Idee, Gesundheit und Finanzen zusammenzubringen, damit auch die unproduktiven Pensionisten ihren Anteil an der sozial-ökologischen Transformation leisten dürfen.
„Elisabeth, pedal faster, or your next happy meal will be a crappy meal!“
Die Energie-Konzerne hatten in ihrer unendlichen Kreativität das Schüleraustauschprogramm pervertiert ähh verbessert und einen Seniorenaustausch daraus gemacht, Pensionisten-Outsourcing sozusagen. Jetzt musste sie auch noch englisch und chinesisch lernen. Zum Glück hatte sie letzten Monat ihren KI-Chip implantiert bekommen, jetzt übersetzte die KI simultan ihre deutschen Flüche. Die eigentliche Herausforderung war die Interpretation der Lautschrift gewesen, da kam es am Anfang zu unangenehmen Wortverwechslungspannen.
Aber heute lief alles gut, nur noch 5 Minuten. Dann 5 Minuten Pause. Früher war das sehr stressig gewesen die Infusionen korrekt aufzudrehen, keiner zu viel oder zu wenig. Da schlief mal der eine ein, die andere Trat wie auf Koks. Heute alles kein Problem mehr durch die Digitalisierung, das machte alles die KI. Sie musste nur die Infusionen abhängen und die Truppe in den nächsten Raum schleusen und wieder anhängen. Alles andere machten dann die Stepper selbsttätig.
Ihre einzige Sorge war jetzt Ersatz für den abgenippelten Hubert zu finden, ehemalige Radprofis waren rar gesät, meistens unbrauchbar wegen dem jahrelangen Doping. Aber da wird ihr sicher auch noch etwas einfallen.
„Eine Minute noch, vy lenivyye suchki!“, schrie sie.
Ach nee, Russen jetzt auch noch?
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