Peter stand vor dem umgebauten Kassenbereich des Billa Plus in der Reinprechtsdorfer Straße.
„Neueröffnungsrabatt -30% auf alle Produkte im SB-Service! Nur in unserer neueröffneten Filiale in der Reinprechtsdorfer Straße! In Kooperation mit unserem Service-Partner Finanz-Online!“, schrie die Werbung aus dem bunten Jö-Flyer heraus. Darunter einige Zeilen in Fliegenschiss-Schrift.
„Das übliche wahrscheinlich, nix auf Angebote, clever etc. Eigenmarke Schas.“, dachte Peter angewidert. Deswegen gönnte er sich ausnahmsweise ein veganes Fungi Pad ohne 25% Pickerl. Denn die zusätzlichen 5% wollte er Rewe definitiv nicht schenken.
„Hab ja nix zu verschenken…“, dachte Peter und ließ seinen Blick über die Bezahl-Optionen im Kassabereich schweifen.
Nur noch eine Kassa, die theoretisch von einer Dienstperson besetzt werden könnte, die aber natürlich unbesetzt war, gekennzeichnet durch ein überdimensioniertes, rot beleuchtetes Schild mit der Nummer „1“. Und fast vollständig verdeckt von dem riesigen Aufsteller mit der blöden Fresse vom Kaiser mit der Aufschrift „Heute darfst du mein Seyffenstein sein!“.
Alle anderen Kassen waren zu SB-Einzelkassen umgewandelt worden, begrenzt von getönten Plexiglastüren, die automatisch und lautlos hinter den Kunden zuklappten.
Peter versuchte die Fliegenschiss-Schrift auf dem Flyer zu identifizieren. Da er aber zu eitel war, seine Lesebrille aus dem Rucksack zu holen, zuckte er nur mit den Schultern und machte sich auf den Weg zur kürzesten Schlange vor den SB-Kassen.
Nur eine junge Frau vor ihm, mit dem üblichen Bobo-Einkauf. Tofu, Smoothie, Kohlrabi („Brrr“) und veganer Speck. Die Türe öffnete sich und die junge Frau trat mit dem Einkaufskorb in den Kassenbereich.
Peter konnte kaum etwas erkennen, außer dass der Bereich von grellen Neonröhren bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet wurde. Ein letzter, flüchtiger unsicherer Blick der jungen Frau und schon schlossen sich die Türen.
Eine Minute verging. Dann war dumpfes Klopfen hinter der SB-Kassa-Türe zu hören. Peter versuchte, irgendetwas durch die getönten Scheiben auszumachen, es waren aber nur undeutliche Schemen zu erkennen.
Minuten vergingen. Ein kurzes schrilles Leuten. Dumpfes Surren war zu hören, wie von einer elektrischen Entladung. Schleifgeräusche.
Peter sah sich um. Schien niemanden zu stören. Alle blickten normal gefrustet in ihrer jeweiligen Warteschlange nach vorne.
Mit einem Zischen öffnete sich die Türe.
Die junge Frau war nicht mehr zu sehen.
Peter blickte unsicher auf sein Fungi-Pad.
„Mach weiter, schlafen kannst du zu Hause!“, hörte er eine Stimme hinter sich.
Peter machte eine beschwichtigende Handbewegung und ging in seine SB-Kassa.
Die Türe schoss sich hinter ihm mit einem Zischen.
„Bitte scannen Sie Ihren Einkauf.“, stand am Display.
„Alles eh so wie immer.“, dachte Peter erleichtert und zog sein Fungi Pad über den Bar-Code-Leser.
„Bitte geben Sie Ihre Sozialversicherungsnummer ein.“, stand auf dem Display.
„Hää?“
„Bitte geben Sie Ihre Sozialversicherungsnummer ein oder wir können Ihnen leider keinen Rabatt gewähren.“, stand auf dem Display.
„Warum braucht ihr meine Sozialversicherungsnummer?“
„Bitte geben Sie Ihre Sozialversicherungsnummer ein oder wir müssen Ihnen ein Prozent des Kaufpreises pro Minute Verzögerung zusätzlich berechnen.“
„WTF?“, dachte Peter und versuchte die Türe hinter sich zu öffnen.
„Bitte unterlassen Sie es, Staatseigentum zu beschädigen!“, dröhnte eine Stimme aus einem Lautsprecher über ihm.
„Dieser Kassenbereich ist Staatseigentum, Beschädigungen werden mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geahndet.“
„Das hat uns sicher dieser neue Slim-Fit Finanzminister eingebrockt.“, dachte Peter.
„Ihre Ware hat sich bereits um ein Prozent verteuert, bitte geben Sie Ihre Sozialversicherungsnummer ein.“, stand jetzt auf dem Display.
„Na gut, was soll schon passieren.“, dachte Peter zähneknirschend und tippte seine Sozialversicherungsnummer ein.
„Herzlich Willkommen, Herr Peter Wurstinger, bei Ihrer neuen Selbstständigkeit mit ungeahnten Möglichkeiten. Aufgrund der neuen Selbstständigkeit müssen wir ihnen eine Umsatzsteuervorauszahlung von 167,24 € und einen Sozialversicherungsbeitrag von 34,15 € vorschreiben. Wir gratulieren Ihnen zu Ihrem Rabatt von 1,20 € auf Ihr Produkt und wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihrer neuen Selbstständigkeit als SB-Kassier bei Billa, Billa-Plus, BIPA und Penny. 204,19 € bezahlen oder den Einkauf fortsetzen? Als Service wird dieser Umsatz automatisch von Ihrem in Finanz-Online hinterlegtem Bankkonto per SEPA-Lastschrift eingezogen.“
Peter suchte verzweifelt den „Abbrechen“-Knopf am Display.
„Wenn Sie den Einkauf nicht fortsetzen, wird der Einkauf automatisch in 30 Sekunden abgeschlossen. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Die Türe öffnet sich danach selbsttätig.“
Der Counter begann unbarmherzig herunterzuticken.
Peter sah sich panisch um.
Eine Kamera in der oberen rechten Ecke des SB-Kassenbereichs folgte seinem Blick.
Peter fiel jetzt erst auf, dass der gesamte SB-Kassenbereich mit Edelstahl verkleidet war und auch das Display sah sehr robust aus. Der Counter tickte unbarmherzig herunter.
Ein Bild des Finanzministers erschien und ein Video spielte sich automatisch ab.
„Vielen Dank für ihren fleißigen Beitrag zur Wirtschaft, Sie als neuer Selbstständiger sind der Eckpfeiler des Kapitalismus, ich begrüße Sie zu ihrer mutigen Entscheidung und wünsche Ihnen viel Glück auf ihrer spannenden und riskanten Reise in die Selbstständigkeit!“.
Die Ausgangstür ging mit einem Zischen auf.
Peter hielt das Fungi Pad wie einen Schild vor sich und taumelte aus dem SB-Kassenbereich hinaus. Aus dem Augenwinkel glaubte er eine Figur zu erkennen, die von zwei uniformierten Beamtinnen durch eine Seitentüre aus dem Supermarkt getragen wurde.
Sein Fuß stieß an einen Gegenstand.
Peter blickte herab. Vor seinem rechten Fuß lag ein Bio-Tofu.
Ein Zischen ließ ihn umdrehen. Der ungeduldige Kunde hinter ihm stolzierte lächelnd aus dem SB-Kassenbereich.
„Steuergutschrift wegen Verlustvortrag von abgelaufener Ware.“, zwinkerte er ihm zu, während er mit seiner -50% Ware aus dem Supermarkt stolzierte.
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