Es lauert der Tiger der Fantasie im Keller.
Ich kann ihn wieder spüren, wie er rastlos seine Kreise zieht.
Jahrelang lag er antriebslos in einer Ecke, gefangen in den niederdrückenden Gedanken seiner Gefangenschaft.
Dann – plötzlich – begannen seine Barthaare zu zittern, und seine Nase nahm Witterung auf.
Ich fühlte ein Schaudern, als er sich langsam erhob. Ich spürte die Bewegung im Keller.
Es war diese rohe Energie, die durch den Stahlbeton drang.
Panik stieg in mir auf.
Was, wenn er freikommt? Wird mich der Tiger verschlingen, mich auffressen, mich einverleiben?
Ich fühle sein Wittern, wie er meinen Geruch aufnimmt, der, Molekül für Molekül, über die Jahre in den Keller gesickert war.
Rastlos bewegt er sich. Rastlos bewege ich mich.
Beide ziehen wir rastlos unsere Kreise, übereinander, im Einklang.
Ein Brüllen—ich schaudere.
Ich brülle zurück.
Kategorie: Lyrik Seite 1 von 6
Lyrik in all ihren Facetten: kurze Momentaufnahmen, Sprachspiele und verdichtete Gedanken.
Ein Punkt
unendlich klein
unendlich groß
unendlich undefiniert
Falten aus Potenzial
entfalten sich
Woher?
Wohin?
Ein Punkt
ungefragt und ungewiss
frei und ungezügelt
kein Punkt mehr
Keine Rechenschaft
Keine Schuld
Kein Gut
Kein Böse
Unendlich lang gefaltet
Unendlich lang zerdrückt
Unendlich große Lust
zum Leben
Den heiligen Gral
Such ich heut zum letzten Mal
Mit meinen 99 Jahren
Kann der Gral zur Hölle fahren
Gesucht jahraus jahrein
Von Köln bis nach Essen
War das Bier zum Vergessen
Verlor mein linkes Bein
Fand es in Dortmund wieder
Ergänzte neu die Glieder
Erhob den Kelch zum Feiern
Morgen such ich ihn in Bayern!
Aber auch in Bayern nicht
Kein Gral in Sicht
Kein Grund zum Feiern
Nur die Gicht sticht
Will ich denn ewig leben
Wenn ich den Gral jetzt find
Wenn nur die Zeit verrinnt
Doch die Glieder weiter beben
So lieg ich jetzt auf meiner Matte
Den Blick hinauf zum Himmel
Gedanken wie aus Watte
Im Schoß der ausgelesn’e Simmel
Der Ritter auf dem hohen Ross
vom Pferde seitlich runterfloss
er platschte in den Graben
es lachten laut die Raben
wer ist hier jetzt der Boss?
Er humpelte rein mit zwei Beinen
und kam wieder raus mit keinen,
die hölzernen Treter beim Spielen verloren,
zu viel getrunken, vom Nass, dem vergor’nen
da wird er zu Hause noch weinen
Der Jäger sah den Osterhas
der in einem Comic las
da wollte er ihn schießen
dem Has‘ den Tag final vermiesen
doch der Has gechillt im Schlachtfeld saß