In einem Supermarkt, nachts um 00:43 Uhr.
Ein Neonlicht in Reihe 3 flackert.
Sonst gedämpftes Licht, nur die Notausgangsschilder leuchten in grünem Grell.
Ähh, grellem Grün.
„Servas Ostahos!“
„Fiep!“
„Hehe, darwischt!“
„Musst du mich so erschrecken, du alter Sack!“
„Bin net, hob oba.“
„Hää?“
Weihnachtsmann deutet auf seinen speckigen, prallgefüllten Sack.
„Na, i hob an, bin oba kana, ho, ho, ho!“
„Das endgültige Urteil darüber steht noch nicht fest.“
„Owa wos mochstn du do? Zfrua ausm Wintaschlof aufgwocht?“
„Also ich bin regulär im Dienst, bei dir ist’s wohl senile Bettflucht!“
„Pfui, Altersdiskriminierung hätt i da net zuatraut.“
„Ha, Altersdiskriminierung, dass ich nicht lache, mich gibt’s schon seit der Erfindung der Spiritualität!“
„Des hättst gean!“
„Aber sicher!“
„Na sicha net!“
Schokoosterhasen und Schokonikoläuse prallen auf die Kontrahenten.
„Hattu Mörchen?“
„Möhre hin, Möhre her, nur der Osterhas hat Flair!“
Ein Skelett tritt hinzu und spricht mit französischem Accent.
„Entschüldigüng die Erren, ähh, Frauen, ähh Wesön? Bittö beschädigen Sie nischt meine Elloween-Ware!“
„Wos is mit dem?“
„Das ist der Neuankömmling, der sich in dein angestammtes Revier gedrängt hat.“
„No, no, no! Nischt gedrängt, abe endlisch meinen angestammten Platz!“
„Angestammt am…“
Diverse schlimme, sehr schlimme, Schimpfwörter werden durch Pieptöne überdeckt.
Der rot gekleidete Weihnachtsmann wirft sich den Sack über die Schulter und verschwindet zwischen den Regalreihen.
Zurück bleiben Skelett und Osterhase in einem Haufen von Schokonikoläusen und Schokoosterhasen, die neben einem Regal voll mit Kürbissen liegen.
„Isch verstehe auch nischt diese Fixierüng auf diese ungesünde Schokolade.“
„Das hat etwas mit Fleischeslust zu tun, wirst du nie verstehen können.“
Das Skelett klimpert mit den leeren Augenhöhlen.
„Apropos Fleischeslüst…“
„Fiep!“
Osterhase verschwindet mit einem Sprung durch eine Lücke im Lebkuchenregal.
Skelett zuckt mit den Schultern.
„Isch glaube sie mag misch.“
Eine New Orleans-Band fängt an zu spielen, der Boden öffnet sich und Skelett tanzt in sein Grab hinab.
Kategorie: Günter Seite 1 von 11


Episode 1
Seit Anbeginn der Zeit gab es für Tod nur eine Aufgabe. Bei der verstorbenen Person (oder Tier oder sonstigem Lebewesen, das Gott in seiner bürokratischen Allwissenheit als intelligent eingestuft hatte, nur um Tod’s Leben schwer zu machen) in angemessener kultureller Aufmachung zu erscheinen.
Tod’s Kleiderschrank war im Laufe der Zeit überdimensional angewachsen.
„Eine einfache Toga und eine Schere reichen den Menschen ja auch nicht mehr.“, murmelte Tod auf dem Weg durch den unendlichen Kleiderschrank. Mit nostalgischer Freude dachte sie zurück an die gute, alte Zeit, als sie noch gedacht hatte, dass das nix wird mit dem intelligenten Leben im Universum.
Da hatte sie noch für ein paar Millionen Jahre gemütlich ihren Wasserstoff-Cocktail im Pferdenebel geschlürft und „Zack!“, kriecht dieser blöde Erden-Zellhaufen aus der ekelhaften Brühe heraus auf die ländliche Einöde.
Wie sich Gott gefreut hatte, dass sich Milliarden Jahre der Geduld endlich ausgezahlt hatten!
Super-Novas mussten ihr Leben lassen für das geplante Feuerwerk. Die Engel mussten ihren Andromeda-Firmenausflug unterbrechen, um diesem bahnbrechenden Ereignis beizuwohnen.
Gabriel hatte damals nur genickt und mit einem Achselzucken die anderen Engel aufgefordert, Gott für dieses Lebewesen (das sie hinter seinem Rücken mit Anführungszeichen versahen) zu preisen. Gott musste natürlich gleich ein Brainstorming starten, um einen angemessenen Namen für das Tier zu finden. Es begann das übliche Hacken und Stechen in einer Arbeitsgruppe. Uriel wollte zuerst die Menschensprache erfinden, worauf Raphael darauf hinwies, dass Mensch (unter Anführungszeichen) nur ein Arbeitstitel von Gott war, worauf Michael wenig hilfreich „Jehova, Jehova!“ rief. Nun, zumindest waren Steine schon erfunden, wodurch Michael zur Freude aller unter dem Schutthaufen wenigstens nur noch leise mit „Sie wars, sie wars!“ zu hören war. Worauf Raphael hinwies, dass diverse audiovisuelle Errungenschaften des potenziellen Menschen in den Ausschüssen noch sehr kontroversiell diskutiert wurden.
Da musste Tod von ihrem letzten Wasserstoff-Cocktail aufstoßen, was alle außer ihr sehr witzig fanden. Da sie alle auch neidig auf ihre bisherige Arbeitslosigkeit waren, nannten sie das Tier nach dem Geräusch, das Tod dabei gemacht hatte: „Lurch!“
Gott sah, dass es gut war, aber er war auch der Einzige, der das glaubte. Naja, bis auf den Lurch. Der sich extrem toll fand mit seinen 53 Gehirnzellen (unter Anführungszeichen). Tod seufzte: “Also gut, dieses kleine Seelchen werde ich schon raufbringen in den Himmel.“
Worauf Raphael sofort einsetzte, mit „Nenenenene, da gibt’s noch die Arbeitsgruppe mit der Hölle, da will sich Luzifer noch profilieren. Bis dahin gibt’s nur Fegefeuer!“.
Tod sah sich um. Meteoriten stürzten in Lavaseen, giftige Schwefelgase zogen über das Land.
„Ähm, also ich mach bis auf weiteres nix?“, sagte Tod.
„Faktisch ja, mythologisch nein.“, antwortete Raphael kryptisch.
Der stolze Lurch sah nicht mehr ganz gesund aus. Die Meeres-Brühe war wohl immer noch gesünder als die verseuchte Landluft.
„Ah, so läuft das, deswegen bin ich hier?“, sagte Tod.
„Yepp.“, mischte sich Michael ein, der beim Ausgraben aus dem Felshaufen Steinlawinen auslöste, die den Lurch unter sich begruben.
„War ich das etwa?“, sagte er, zuckte mit den Schultern, schüttelte seine goldenen Flügel aus und flog davon.
„Ähm, ich lass dich dann allein, du schaffts das schon!“, sagte Raphael und machte sich auch aus dem Staub.
„Wieder typisch, die Herren Engel verschwinden, wenn es schwierig wird.“, murmelte Tod. Sie wartete auf das Erscheinen der Lurch-Seele. Doch stattdessen krabbelte ein eingedellt aussehender Lurch zurück in das kalte, naja, eigentlich ziemlich heiße, Nass.
Offensichtlich hatte die Arbeitsgruppe „Glück“ das Konzept schon angenommen.
„Das waren noch Zeiten!“, seufzte Tod und setzte ihren Weg durch den Kleiderschrank fort, auf der Suche nach dem Azteken-Bereich für das Mictlancihuatl-Kostüm.

„Servas, Ernstl!“
„Servas, Gustl, oide Haut!“
„Huck di hea, da Nazl kummt heit net.“
„Wos is mit dem, hota scho wida Hausarrest von seiner Oidn ausgfosst?“
„Ha, ha, na sche warats, hots eam auftuttlt in da Hockn.“
„Wos hota dn gmocht, des Potschal??“
„Wos deafsn sei fia di, Gustl, des übliche?“
„Servas Mizzl, heit nua an Pfiff fia mi.“
„Wo is los Gustl, bist kronk, miss ma uns Sorgn mochn?“
„Haha, na is nua Spass, wann i amoi nur an Pfiff sauf kennts mi noch Steihof fian!“
„A so a Pleampl, oiso a Kriagl fian lustign Hean.“
„No sicha, mei Bia is jo net deppat, ha, ha.“
„No, Gustl, heit wiada an Klaun gfriastickt?“
„Na, oba a kloane Geburtstogsfeia in da Budn. A poa Sekt mit Oblsta zum Fuaglian.“
„Do host a Masn, bei mia sans olle trukn, die Chefs, feian nur mit Opflsoft gschpritzt.“
„De gschpritztn Piefke san a boid iberoi.“
„Des Kriagl fia lustign Hean, Prost.“
„Gschamsta Dina, Mizzl, bring ma glei des nächste, wast eh, ko net so koit saufn.“
„Kummt glei, Gustl. Fia di a no ans, Ernstl?“
„Na sicha, sixt eh, hob nur mehr an woaman Honsl.“
„Na do woi ma di net fadurschtn lossn, kummt glei, Ernstl!“
„Sog, wos woa jetzt mit dem Nazl?“
„No de schenan Kollegn hom eam einetheatert.“
„Wos, scho wida? Wos woa deamoi?“
„Na wast, sans olle in da Kuchl gschtondn beim Tschikn. Do kummt die Friedl fuabei.“
„De Tippsn von sei Chef?“
„Jo, eh. Auf de steht a se, sei Oide geht eam eh scho am Zaga. Des wissn a de Kollegn.
Sogt da Franzl zu eam:
„Wüstas net zum Firmen-Gschnas eilodn?“
Sogt da Nazl:
„Jo, eh, oba i trau mi net.“
Sogt da Franzl: „Geh, die steht eh a auf di. Geh hi!“.
Sogt da Nazl: „No guat, I probiers.“
Wü ia da Nazl im Gong nochrenna, schaut oba zua de Kollegn zruck und rennt wia deppat in des offane Gongfensta. Des Fensta schewwat wia Kluppnsackl und den Nazl prackts hi am Oasch.
De Nosn bliat wia deppat.
„Geh schleich di!“
„Jo, eh. De Gfrasta Kollegn kudan wia deppat, oba de Friedl rennt zu eam zuwe und kewlt: „Es Pleampln hoits ma an Gschiafetzn!“. Da Franzl kumt mitn Fetzn und die Friedl druckt dem Nazl den Fetzn ins Gsicht.“
„De oame Sau!“
„Na long wora net oam, wäu die Friedl hot eam eigsacklt und in ia Zimma mitgnumma.“
„Geh schleich di!“
„Jo, und jetzt schauns olle deppat, wäu da Nazl hot grod a Rendevouz mit da Friedl.“
„No hot dea a Masn! Oba so a Potschal wia dea is, huckta muagn eh wieda bei uns.“
„Haha, und mit no ana bluatign Nosn fo seina Oiadn!“
„Haha, na mit dera wiadat I mi a net olegn!“
„Na don a Prost aufn Nazl, de oame Sau!“
„So des näxte Kriagl fia die Herrn.“
„Passt, Mizzl, bist de beste.“
„Woi bekummts, es Trangler.“
„Hot de grod Trangler zu uns gsogt?“
„Haha, wos Recht hot, hots recht!“
„Geh schleich di!“

„Wenn und Aber nicht bei Faber! Genügend!“, sagt Frau Professor Faber kopfschüttelnd, als sie das Schularbeitsheft mit dem roten Klarsichteinband auf meinen Tisch fallen lässt.
„Wenn und aber nicht bei Faber.“, äffe ich sie leise nach, während ich mein Schularbeitsheft seufzend aufschlage. Nur blöd, dass sie uns während des gesamten Schuljahres keine sinnvollen Alternativen für ihre Vorgabe geliefert hatte.
„Sodass“ gefiel ihr nicht, ebenso wie „Hernach“.
Ich schlage mein Schularbeitsheft auf.
„Immerhin ein Vierer!“, denke ich erleichtert, ich hatte schon mit dem Schlimmsten gerechnet.
Wie ich diese roten Wellen unter meinen Sätzen hasse.
„Unklar“ oder „Unverständlich“ steht manchmal in dem abgeteilten Bereich des linierten Heftes. Fehlende Beistriche durchziehen die Seiten meines Heftes und erinnern mich an abgestürzte Obstfliegen, die zwischen meinen angstvoll verfassten Wörtern blutrot zerschellt waren.
Der eine oder andere Rechtschreibfehler ist natürlich auch mit dabei. Zum Glück diesmal nur acht davon, sonst wäre es noch unheilvoller ausgegangen. Nicht dass der Vierer viel einfacher zu Hause zu erklären sein wird.
Ich blicke mich im Klassenzimmer um. Die üblichen Reaktionen. Der Klassenstreber hüfte vor Freude auf seinem Stuhl auf und ab. Er hatte natürlich wieder ein ganz schlechtes Gefühl gehabt. Und jetzt den üblichen Einser abgeholt. Warum kann mir das nicht mal passieren? Ich habe auch immer ein schlechtes Gefühl, aber trotzdem nie ein gutes Ergebnis.
Frau Professor Faber ist in der Zwischenzeit bei meinem Freund Markus angekommen.
„Nicht genügend!“ sagt sie und wirft ihm sein Heft auf den Tisch. Ich drehe mich um. Unsere Blicke treffen sich, er schüttelt traurig den Kopf.
Die Schulglocke fängt schrill an zu läuten.
„Nächstes Mal Stundenwiederholung zum Gerundiv!“, ruft Frau Professor Faber in das Läuten hinein.
Allgemeines Stöhnen.
Frau Professor Faber verlässt den Klassenraum.
Ich stecke mein verhasstes Schularbeitsheft in meine Schultasche und versuche nicht an die nächste Schulstunde zu denken.
Lateinschularbeit.

Küss die Hand schöne Frau, ihre Augen sind so blau
Geh schleich di!
Heil unserem Volkskanzler
Geh schleich di!
Rosen sind rot, Veilchen sind blau
Geh schleich di!
Wir sind alle nur gechippt, oh, oh, oh, oh
Geh schleich di!
Frauen sind die besseren Männer
Geh schleich di!
Mei Bier is net deppat!
Geh schleich di!
Die Wirtschaft schafft die Arbeit
Geh schleich di!
Wennst heiratest wird alles wieder gut
Geh schleich di!

Es war ein heißer Sommertag. Schwärme aus kleinen Mücken tanzten durch die Sonnenstrahlen, die durch die dichten Kronen der Bäume am Ufer des brackigen Flusses drangen. Modriger Geruch drang aus den Wasserpflanzen, die das schlammige Ufer überwucherten. Das Quaken der Frösche mischte sich zum Zirpen der Insekten.
Plötzliche Stille.
Ein Knall. Laute Stimmen durchdrangen die Stille. Eine Gestalt durchbrach die grüne Wand auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses und sprang in das Wasser.
Knall auf Knall trieb einen Schwarm aus bunten Vögeln aus dem Dickicht empor.
Explosionen aus Blättern ließ grünes Konfetti in den Fluss rieseln.
Die Gestalt watete durch den dicken Schlamm am Ufer. Kleine Fontänen aus braunem Wasser spritzen auf um ihn herum auf, wie negativer Regen, der zurück zu seinem Ursprung flüchten wollte. Die Gestalt verschwand im undurchsichtigen Wasser des Flusses. Weitere Gestalten durchbrachen die grüne Wand, Macheten zerfetzten die unberührte Natur und rissen zerfranste Löcher in den Dschungel. Drei Männer in dreckigen braunen Uniformen gestikulierten wild, hoben ihre Waffen und verschossen ihr Blei in das gleichgültige Braun des Flusses. Ein Mann rief etwas und es wurde wieder still.
Eine bleierne Stille durchdrang das verhallende Echo der Schüsse. Die Männer blickten nach links und rechts. Da regte sich etwas im Fluss. Weitere Schüsse. Eine Figur durchdrang die Oberfläche, reglos und trieb am Rücken dahin.
Ein Kaiman hatte zur falschen Zeit Luft geholt und trieb jetzt leblos als Teil des Flusses seiner Bestimmung entgegen.
Eine weitere Gestalt durchbrach die Oberfläche des Flusses, holte röchelnd Luft und verschwand wieder. Die Männer drückten an ihren Gewehren herum und holten fluchend Magazine aus ihren Hosentaschen. Weitere Fontänen aus Wasser stiegen aus dem Fluss empor, doch das Wasser blieb unbeeindruckt still.
Unbeobachtet von den Männern tauchte auf dieser Seite des Ufers, geschützt von herunterhängenden Wasserpflanzen, eine Gestalt langsam aus dem schlammigen Fluss auf. Sie hielt sich beide Hände vor den Mund, um jegliche Geräusche zu unterdrücken, die durch das verzweifelte, panische Atemholen verursacht wurden.
Wie mit einem Paukenschlag startete wieder das Konzert der Tiere. Ohrenbetäubend nach der drückenden Stille übertönte der Dschungel jegliches menschengemachtes Geräusch.
Die Männer am gegenüberliegenden Ufer beobachteten noch eine Zeitlang den undurchsichtigen Fluss und das gegenüberliegende Ufer.
Dann gab ein Mann ein Zeichen und die Männer verschwanden, frustriert auf die Natur einhackend, zurück durch die grüne Wand des Dschungels.
Ein schluchzendes Luftholen durchdrang den Vorhang aus Wasserpflanzen. Die Gestalt zog sich an ihnen auf das Ufer des Flusses hinauf und verschwand wankend im schützenden Schoß des diesseitigen Dickichts.

Peter stand vor dem umgebauten Kassenbereich des Billa Plus in der Reinprechtsdorfer Straße.
„Neueröffnungsrabatt -30% auf alle Produkte im SB-Service! Nur in unserer neueröffneten Filiale in der Reinprechtsdorfer Straße! In Kooperation mit unserem Service-Partner Finanz-Online!“, schrie die Werbung aus dem bunten Jö-Flyer heraus. Darunter einige Zeilen in Fliegenschiss-Schrift.
„Das übliche wahrscheinlich, nix auf Angebote, clever etc. Eigenmarke Schas.“, dachte Peter angewidert. Deswegen gönnte er sich ausnahmsweise ein veganes Fungi Pad ohne 25% Pickerl. Denn die zusätzlichen 5% wollte er Rewe definitiv nicht schenken.
„Hab ja nix zu verschenken…“, dachte Peter und ließ seinen Blick über die Bezahl-Optionen im Kassabereich schweifen.
Nur noch eine Kassa, die theoretisch von einer Dienstperson besetzt werden könnte, die aber natürlich unbesetzt war, gekennzeichnet durch ein überdimensioniertes, rot beleuchtetes Schild mit der Nummer „1“. Und fast vollständig verdeckt von dem riesigen Aufsteller mit der blöden Fresse vom Kaiser mit der Aufschrift „Heute darfst du mein Seyffenstein sein!“.
Alle anderen Kassen waren zu SB-Einzelkassen umgewandelt worden, begrenzt von getönten Plexiglastüren, die automatisch und lautlos hinter den Kunden zuklappten.
Peter versuchte die Fliegenschiss-Schrift auf dem Flyer zu identifizieren. Da er aber zu eitel war, seine Lesebrille aus dem Rucksack zu holen, zuckte er nur mit den Schultern und machte sich auf den Weg zur kürzesten Schlange vor den SB-Kassen.
Nur eine junge Frau vor ihm, mit dem üblichen Bobo-Einkauf. Tofu, Smoothie, Kohlrabi („Brrr“) und veganer Speck. Die Türe öffnete sich und die junge Frau trat mit dem Einkaufskorb in den Kassenbereich.
Peter konnte kaum etwas erkennen, außer dass der Bereich von grellen Neonröhren bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet wurde. Ein letzter, flüchtiger unsicherer Blick der jungen Frau und schon schlossen sich die Türen.
Eine Minute verging. Dann war dumpfes Klopfen hinter der SB-Kassa-Türe zu hören. Peter versuchte, irgendetwas durch die getönten Scheiben auszumachen, es waren aber nur undeutliche Schemen zu erkennen.
Minuten vergingen. Ein kurzes schrilles Leuten. Dumpfes Surren war zu hören, wie von einer elektrischen Entladung. Schleifgeräusche.
Peter sah sich um. Schien niemanden zu stören. Alle blickten normal gefrustet in ihrer jeweiligen Warteschlange nach vorne.
Mit einem Zischen öffnete sich die Türe.
Die junge Frau war nicht mehr zu sehen.
Peter blickte unsicher auf sein Fungi-Pad.
„Mach weiter, schlafen kannst du zu Hause!“, hörte er eine Stimme hinter sich.
Peter machte eine beschwichtigende Handbewegung und ging in seine SB-Kassa.
Die Türe schoss sich hinter ihm mit einem Zischen.
„Bitte scannen Sie Ihren Einkauf.“, stand am Display.
„Alles eh so wie immer.“, dachte Peter erleichtert und zog sein Fungi Pad über den Bar-Code-Leser.
„Bitte geben Sie Ihre Sozialversicherungsnummer ein.“, stand auf dem Display.
„Hää?“
„Bitte geben Sie Ihre Sozialversicherungsnummer ein oder wir können Ihnen leider keinen Rabatt gewähren.“, stand auf dem Display.
„Warum braucht ihr meine Sozialversicherungsnummer?“
„Bitte geben Sie Ihre Sozialversicherungsnummer ein oder wir müssen Ihnen ein Prozent des Kaufpreises pro Minute Verzögerung zusätzlich berechnen.“
„WTF?“, dachte Peter und versuchte die Türe hinter sich zu öffnen.
„Bitte unterlassen Sie es, Staatseigentum zu beschädigen!“, dröhnte eine Stimme aus einem Lautsprecher über ihm.
„Dieser Kassenbereich ist Staatseigentum, Beschädigungen werden mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geahndet.“
„Das hat uns sicher dieser neue Slim-Fit Finanzminister eingebrockt.“, dachte Peter.
„Ihre Ware hat sich bereits um ein Prozent verteuert, bitte geben Sie Ihre Sozialversicherungsnummer ein.“, stand jetzt auf dem Display.
„Na gut, was soll schon passieren.“, dachte Peter zähneknirschend und tippte seine Sozialversicherungsnummer ein.
„Herzlich Willkommen, Herr Peter Wurstinger, bei Ihrer neuen Selbstständigkeit mit ungeahnten Möglichkeiten. Aufgrund der neuen Selbstständigkeit müssen wir ihnen eine Umsatzsteuervorauszahlung von 167,24 € und einen Sozialversicherungsbeitrag von 34,15 € vorschreiben. Wir gratulieren Ihnen zu Ihrem Rabatt von 1,20 € auf Ihr Produkt und wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihrer neuen Selbstständigkeit als SB-Kassier bei Billa, Billa-Plus, BIPA und Penny. 204,19 € bezahlen oder den Einkauf fortsetzen? Als Service wird dieser Umsatz automatisch von Ihrem in Finanz-Online hinterlegtem Bankkonto per SEPA-Lastschrift eingezogen.“
Peter suchte verzweifelt den „Abbrechen“-Knopf am Display.
„Wenn Sie den Einkauf nicht fortsetzen, wird der Einkauf automatisch in 30 Sekunden abgeschlossen. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Die Türe öffnet sich danach selbsttätig.“
Der Counter begann unbarmherzig herunterzuticken.
Peter sah sich panisch um.
Eine Kamera in der oberen rechten Ecke des SB-Kassenbereichs folgte seinem Blick.
Peter fiel jetzt erst auf, dass der gesamte SB-Kassenbereich mit Edelstahl verkleidet war und auch das Display sah sehr robust aus. Der Counter tickte unbarmherzig herunter.
Ein Bild des Finanzministers erschien und ein Video spielte sich automatisch ab.
„Vielen Dank für ihren fleißigen Beitrag zur Wirtschaft, Sie als neuer Selbstständiger sind der Eckpfeiler des Kapitalismus, ich begrüße Sie zu ihrer mutigen Entscheidung und wünsche Ihnen viel Glück auf ihrer spannenden und riskanten Reise in die Selbstständigkeit!“.
Die Ausgangstür ging mit einem Zischen auf.
Peter hielt das Fungi Pad wie einen Schild vor sich und taumelte aus dem SB-Kassenbereich hinaus. Aus dem Augenwinkel glaubte er eine Figur zu erkennen, die von zwei uniformierten Beamtinnen durch eine Seitentüre aus dem Supermarkt getragen wurde.
Sein Fuß stieß an einen Gegenstand.
Peter blickte herab. Vor seinem rechten Fuß lag ein Bio-Tofu.
Ein Zischen ließ ihn umdrehen. Der ungeduldige Kunde hinter ihm stolzierte lächelnd aus dem SB-Kassenbereich.
„Steuergutschrift wegen Verlustvortrag von abgelaufener Ware.“, zwinkerte er ihm zu, während er mit seiner -50% Ware aus dem Supermarkt stolzierte.

Im Finstern sitzen
Die Gedanken flitzen
Die Gedanken blitzen
Zu unruhig zum Sitzen
Die Schwärze trinken
Im Nichts zu versinken
Türen voll mit Klinken
Potenziale winken
Wirbel entstehen
Wirbel vergehen
Finsternisse erflehen
Lichter zu erspähen
Ins Licht zu strecken
Das Licht zu schmecken
An den Strahlen zu lecken
Die Düsternis zu necken
Durch die Wolken wühlen
Dunkle Gedanken spülen
Weiße Stille erfühlen
Stillstand der Gedankenmühlen

Hadu wachte auf, weil es Zeit war. Nur ein schwaches Schimmern von der zentralen Feuerstätte durchdrang die pechschwarze Finsternis der frühen Stunde. Hadu setzte sich seufzend auf, streckte sich vorsichtig und tastete nach seinem Stock, der am Boden neben seinem Bett lag. Es roch leicht nach Rauch, frischem Heu und nach Ziege. Seit drei Tagen schliefen die Ziegen wieder in seinem Haus, um sie vor dem Frost zu schützen. Aber sie wärmten auch sein Heim und darüber war Hadu sehr dankbar, denn seine Knochen waren nach 49 Lebensjahren an der Ostsee etwas kälteempfindlich geworden.
Hadu schob sein kostbares Bärenfell zur Seite und nahm die Hirschfelljacke, die an einem Holzpflock neben seinem Bett hang und zog sie über seinen vernarbten, weißhaarigen Oberkörper. Er stand langsam auf, ging zur Feuerstelle, legte vorsichtig Holz nach und entfachte das Feuer neu. Nachdem es zu seiner Zufriedenheit brannte, ging er aus seiner strohbedeckten Hütte und erleichterte sich am Misthaufen. Noch herrschte Totenstille im Dorf, nur das gelegentliche Meckern einer Ziege und das Blöken eines Schafes war zu hören.
„Es ist Zeit.“, dachte Hadu und ging, auf seinen Stock gestützt, zu dem Holzpfahl, der in der Mitte des Dorfes stand.
Er nahm den Stock und begann rhythmisch, im Takt des Morgenliedes, auf den Pfahl zu schlagen. Nach drei Takten begann er das Morgenlied mit seiner kratzigen, tiefen Stimme zu singen und bat damit die Göttin des Waldes um ihren Segen für ihr heutiges Unterfangen.
Kaum war das Lied vorbei, sah er schon, wie Lichtschein aus den anderen Häusern drang und die Menschen zu ihrem Tagwerk erwachten.
Heute war ein besonderer Tag. Gestern war er tief in den Birkenwald gewandert, bis zu der Lichtung mit dem Steinkreis, um die Götter nach der richtigen Zeit zu fragen.
Die Zeit war nah, wie es ihm am Tag davor der Wurf der heiligen Knochen am Strand gezeigt hatte. Es war kalt geworden, nachdem der Wendekreis des Herbstes vorübergezogen war.
Hadu stand unbeweglich neben dem Holzpfahl und beobachtete die rötlichen Lichtstrahlen, die sich mit den weißlichen Nebelschwaden im Sternenlicht verwoben.
Er hörte, wie sich Schritte näherten.
Hiltja hielt einen flachen Bastkorb in den Händen und sagte, als sie vor ihm stand:
„Heute?“
Hadu nickte und ging zurück in seine Hütte. Er fütterte und melkte die Ziegen.
Auch wenn er jetzt bei dem Ritual nicht selbst teilnahm, so zog er trotzdem sorgsam das kostbare Wildleder über seine Beine und band es an der höchsten Stelle seines Oberschenkels fest.
Gestützt auf seinen Stock hielt er inne und nahm die Welt um sich wahr. Er spürte, wie sich die Luft veränderte und auch das vorfreudige Raunen der Dorfbewohner.
Er überprüfte das Feuer und die Einzäunung seiner Ziegen. Alles war zu seiner Zufriedenheit. Er wollte sich gänzlich konzentrieren auf die Zeichen der Götter.
Er sah sich im Raum um, nickte und ging zur Tür hinaus.
Die Dorfbewohner standen mit brennenden Holzspänen am zentralen Platz.
Hadu nahm einen tiefen Atemzug und hob seine Arme.
Ein Lichtschein im Osten begann die Finsternis zu durchdringen.
Ein Seufzen ging durch die Menge und ein Seufzen strich über die dunklen Wipfel der weißen Birken.
Ein Windhauch begann den Nebel zu zerteilen und wurde immer stärker, je heller es wurde. Plötzlich ein Brausen, ein Windstoß, der einzelne Kienspäne ausblies.
Hadu rief die uralten Worte des Glezo-Rituals in alle Himmelsrichtungen.
Der Wind blies gleichmäßig und kräftig.
Hadu lächelte Hiltja an und sagte zu den anderen Dorfbewohnern, die ihn erwartungsvoll ansahen.
„Heute wird es eine gute Ernte geben! Die Göttin des Waldes und die neun Töchter der Rán werden die Tränen der verstorbenen Baumriesen hinaufsteigen lassen und uns Reichtum und Wohlstand bescheren, solange wir ihr ihnen dienen!“.
Hadu drehte sich um und ging an der Spitze der Prozession aus dem Birkenwald heraus, durch die hohen Dünen bis an das Meer.
Wellen brandeten an den Strand und die aufgehende Sonne spiegelte sich in den rötlichbraunen Stücken aus Bernstein, die auf dem kalten Wasser tanzten.
Die Dorfbewohner verteilten sich am Strand und Hadu beobachtete mit einem zufriedenen Lächeln, wie sie die kostbaren Tränen-Geschenke der Göttin einsammelten.

Die Angst war und ist immer noch die Antreiberin meines Lebens. Sie hat mich als Kind in den beruhigenden Mutterschoß des Waldes getrieben. Eifersüchtig kämpfte die Angst mit der Sehnsucht, mit der Sehnsucht nach einem Zuhause. Einem Zuhause in mir und in der Welt. Die Angst ließ mich erstarren, die Sehnsucht trieb mich taumelnd fort.
Zu einem Brett erstarrt, unbeweglich, in eine Ecke gestellt, beobachtete ich die Welt. Die Sehnsucht brach die fein gemaserten Strukturen wieder auf und die Puppe bewegte sich wieder. Klebrige Tränen aus Harz traten heraus, denn die sehnsüchtige Erinnerung an ein ungelebtes Leben ließen mich langsam wieder erstarren.
Immer wieder diese knarrende, klebrige Suche nach Gemeinschaft. Immer wieder diese klebrige, bittere Hoffnung auf Kommunion.
Was war so anziehend an dieser Angst?
Die ferne Erinnerung an das Glück?
Geboren als Schössling einer Buche, mit dem Potenzial ein Teil des Blätterdaches zu werden. Doch ein Schnitt nach dem anderen und es gab keinen erkennbaren Stamm mehr. Nur mehr eine Vielzahl an unterschiedlich dünnen Ästen reckten sich kläglich im Schatten des dichten Waldes
Wer hat diesen Wald so zugerichtet?
Wer hat mich so zugerichtet?
Warum ist es hier so still?