Ich sitze hier und sehe aus dem Fenster.
Der Sommer hat sich längst verabschiedet.
Herbst war gefühlt nur einen Augenblick.
Ein einzelner Vogel durchquert meinen eingeschränkten Ausblick.
Bis zur Hälfte des Fensters ragt noch eine Anhöhe, die alle Facetten an Grüntönen zeigt und sich gegen den Winter stemmt.
Dazwischen haben einige Pflanzen diesen Kampf bereits aufgegeben und haben entweder ein gelbes Blätterkleid an, oder zeigen sich komplett entlaubt.
Ein einzelner Baum ragt hoch und gespenstisch entblößt in die Luft.
Zwischendrin sitzt wie eingebettet ein kleines Häuschen in dunklem Braun.
Ob da jemand wohnt? Ich stelle mir vor, es wäre ein alter Greis.
Er sitzt in einem Schaukelstuhl, wippt vor und zurück, sieht beim Fenster hinaus. Was er sieht, ist ein riesiges gelbes, sehr altes Gebäude, mit vielen Fenstern.
In einem dieser Fenster leuchtet rotes und weißes Licht, währen an einem Tisch eine schreibende Frau sitzt, immer wieder den Kopf hebt und zu ihm hoch sieht.
Jeder sitzt allein in seinem Zimmer. Jeder für sich, so nah und doch fremd und getrennt.
Ob ich auch einmal in einem Schaukelstuhl sitzen werde?
Während ich darüber weiter nachdenke, legt sich die Nacht über Ybbs.
Später am Abend lösche ich das Licht, sitze im Finstern im Bett und wünsche dem alten Greis in Gedanken eine gute Nacht.
Ob er auch an mich denken mag?
Monat: November 2024


Im Finstern sitzen
Die Gedanken flitzen
Die Gedanken blitzen
Zu unruhig zum Sitzen
Die Schwärze trinken
Im Nichts zu versinken
Türen voll mit Klinken
Potenziale winken
Wirbel entstehen
Wirbel vergehen
Finsternisse erflehen
Lichter zu erspähen
Ins Licht zu strecken
Das Licht zu schmecken
An den Strahlen zu lecken
Die Düsternis zu necken
Durch die Wolken wühlen
Dunkle Gedanken spülen
Weiße Stille erfühlen
Stillstand der Gedankenmühlen

1 frogt in die Runde
2 schaun sie frogend au
3 verdrahn die Augen
4 rutschen aum Sessl umadum
5 steckn die Käpf zaum und tuscheln
6 fühln sie net aungsprochn
7 tuan so ois obsas nix augingat
8 valossn auf da stö den Raum
9 krauman in die Sackln und Toschn,
während ana von de letzten 10 mutig aufsteht und sogt: i woas, i hob an foan losn!

Gewitter im Kopf
Die Gedanken schwirren wild,
es kristallisiert sich noch kein Bild.
Gewitter im Kopf
Es ist laut und niemals Ruhe,
egal was ich auch tue.
Gewitter im Kopf
Ich schlage und trete,
es hilft nichts, auch wenn ich bete.
Gewitter im Kopf
Es kämpft das Böse gegen das Gute,
durch emotionale und körperliche Schmerzen bezahle ich meine Tribute
Wolken im Kopf
Ich stehe zu mir und halte inne,
damit ich meine Ruhe wiedergewinne.
Wind im Kopf
Der Wind das Gewitter weiter wehe,
damit ich wieder klarer sehe.
Sonne im Kopf
So gehe ich selbstbewusst meine Schritte
und wähne mich in meiner Mitte.

Hadu wachte auf, weil es Zeit war. Nur ein schwaches Schimmern von der zentralen Feuerstätte durchdrang die pechschwarze Finsternis der frühen Stunde. Hadu setzte sich seufzend auf, streckte sich vorsichtig und tastete nach seinem Stock, der am Boden neben seinem Bett lag. Es roch leicht nach Rauch, frischem Heu und nach Ziege. Seit drei Tagen schliefen die Ziegen wieder in seinem Haus, um sie vor dem Frost zu schützen. Aber sie wärmten auch sein Heim und darüber war Hadu sehr dankbar, denn seine Knochen waren nach 49 Lebensjahren an der Ostsee etwas kälteempfindlich geworden.
Hadu schob sein kostbares Bärenfell zur Seite und nahm die Hirschfelljacke, die an einem Holzpflock neben seinem Bett hang und zog sie über seinen vernarbten, weißhaarigen Oberkörper. Er stand langsam auf, ging zur Feuerstelle, legte vorsichtig Holz nach und entfachte das Feuer neu. Nachdem es zu seiner Zufriedenheit brannte, ging er aus seiner strohbedeckten Hütte und erleichterte sich am Misthaufen. Noch herrschte Totenstille im Dorf, nur das gelegentliche Meckern einer Ziege und das Blöken eines Schafes war zu hören.
„Es ist Zeit.“, dachte Hadu und ging, auf seinen Stock gestützt, zu dem Holzpfahl, der in der Mitte des Dorfes stand.
Er nahm den Stock und begann rhythmisch, im Takt des Morgenliedes, auf den Pfahl zu schlagen. Nach drei Takten begann er das Morgenlied mit seiner kratzigen, tiefen Stimme zu singen und bat damit die Göttin des Waldes um ihren Segen für ihr heutiges Unterfangen.
Kaum war das Lied vorbei, sah er schon, wie Lichtschein aus den anderen Häusern drang und die Menschen zu ihrem Tagwerk erwachten.
Heute war ein besonderer Tag. Gestern war er tief in den Birkenwald gewandert, bis zu der Lichtung mit dem Steinkreis, um die Götter nach der richtigen Zeit zu fragen.
Die Zeit war nah, wie es ihm am Tag davor der Wurf der heiligen Knochen am Strand gezeigt hatte. Es war kalt geworden, nachdem der Wendekreis des Herbstes vorübergezogen war.
Hadu stand unbeweglich neben dem Holzpfahl und beobachtete die rötlichen Lichtstrahlen, die sich mit den weißlichen Nebelschwaden im Sternenlicht verwoben.
Er hörte, wie sich Schritte näherten.
Hiltja hielt einen flachen Bastkorb in den Händen und sagte, als sie vor ihm stand:
„Heute?“
Hadu nickte und ging zurück in seine Hütte. Er fütterte und melkte die Ziegen.
Auch wenn er jetzt bei dem Ritual nicht selbst teilnahm, so zog er trotzdem sorgsam das kostbare Wildleder über seine Beine und band es an der höchsten Stelle seines Oberschenkels fest.
Gestützt auf seinen Stock hielt er inne und nahm die Welt um sich wahr. Er spürte, wie sich die Luft veränderte und auch das vorfreudige Raunen der Dorfbewohner.
Er überprüfte das Feuer und die Einzäunung seiner Ziegen. Alles war zu seiner Zufriedenheit. Er wollte sich gänzlich konzentrieren auf die Zeichen der Götter.
Er sah sich im Raum um, nickte und ging zur Tür hinaus.
Die Dorfbewohner standen mit brennenden Holzspänen am zentralen Platz.
Hadu nahm einen tiefen Atemzug und hob seine Arme.
Ein Lichtschein im Osten begann die Finsternis zu durchdringen.
Ein Seufzen ging durch die Menge und ein Seufzen strich über die dunklen Wipfel der weißen Birken.
Ein Windhauch begann den Nebel zu zerteilen und wurde immer stärker, je heller es wurde. Plötzlich ein Brausen, ein Windstoß, der einzelne Kienspäne ausblies.
Hadu rief die uralten Worte des Glezo-Rituals in alle Himmelsrichtungen.
Der Wind blies gleichmäßig und kräftig.
Hadu lächelte Hiltja an und sagte zu den anderen Dorfbewohnern, die ihn erwartungsvoll ansahen.
„Heute wird es eine gute Ernte geben! Die Göttin des Waldes und die neun Töchter der Rán werden die Tränen der verstorbenen Baumriesen hinaufsteigen lassen und uns Reichtum und Wohlstand bescheren, solange wir ihr ihnen dienen!“.
Hadu drehte sich um und ging an der Spitze der Prozession aus dem Birkenwald heraus, durch die hohen Dünen bis an das Meer.
Wellen brandeten an den Strand und die aufgehende Sonne spiegelte sich in den rötlichbraunen Stücken aus Bernstein, die auf dem kalten Wasser tanzten.
Die Dorfbewohner verteilten sich am Strand und Hadu beobachtete mit einem zufriedenen Lächeln, wie sie die kostbaren Tränen-Geschenke der Göttin einsammelten.